Die „Promotionsheld.in“ lag wohl in der Luft. 2018 habe ich zur Gründung meines [schreibzentrum.berlin] im Blog die Rubrik der „Promotionsheld.innen“ eingerichtet, um Mut-Mach-Geschichten übers Promovieren zu erzählen. In Mainz machte sich da Dr. Marlies Klamt mit „Promotionsheldin“ selbständig. Jetzt haben wir uns endlich kennengelernt und festgestellt: Ja, wir coachen mit viel Herzblut vor allem Frauen beim Promovieren, z.B. beim Schreiben, Zeitmanagement oder der Haltung gegenüber der Promotion.
Natürlich haben wir uns bei dieser Gelegenheit unsere eigenen Promotionsgeschichten erzählt. Für mich ist die Geschichte von Marlies eine Mut-Mach-Geschichte. Deswegen habe ich sie gefragt, ob sie ihre Geschichte hier aufschreiben mag. Hier ist sie:
Folgenreiche Entscheidungen
Ich hätte mir meine Promotion sicher leichter machen können. Zum Beispiel, wenn ich mir nicht (freiwillig) ein komplett neues Thema gesucht hätte. Oder wenn ich nicht (weniger freiwillig) eine mir komplett neue Methodik benutzt hätte.
Aber Fakt ist auch: Hätte ich mir nicht so viel Neues auf den Teller geladen, dann hätte ich auch nicht so viel gelernt.
Meine Promotion begann unter recht „normalen“ Startvoraussetzungen. In Bezug auf Thema und Methodik zwar schwieriger als die Durchschnittspromotion, dafür aber mit einem Betreuer, mit dem ich mich gut verstand und mit einer gesicherten Finanzierung durch eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Ich hatte Filmwissenschaften und Publizistik auf Magister studiert und da ich danach am Journalistischen Seminar arbeitete und promovierte, war klar, dass ich um eine fachfremde oder zumindest interdisziplinäre Arbeit nicht herumkommen würde.
Mein Doktorvater hatte mir bei der Themenwahl recht freie Wahl gelassen, dafür aber vorausgesetzt, dass ich mit einer bestimmten – mir unbekannten – Methode arbeiten werde.
Als eine ebenfalls bei meinem Betreuer promovierende Kollegin zu mir meinte, für die Einarbeitung in die Methodik könnte ich locker mit einem Jahr zusätzlicher Arbeit rechnen, nickte ich zwar zustimmend, dachte mir aber insgeheim: Ein Jahr? So lange wird das doch wohl nicht dauern.
Oh doch…
Meine drei Baustellen
Hätte ich ihre Warnung ernster genommen, dann hätte ich mir unter Umständen nicht auch noch ein Thema ausgesucht, dass nur sehr entfernt mit meinem Studium zu tun hatte. Intersektionalität, Critical Studies of Whiteness, postkoloniale Theorie, Ungleichheitsforschung – in meinem Studium war ich mit keinem dieser Bereiche in Kontakt gekommen. Für meine Dissertation sollten sie zu den Grundpfeilern werden.
Die Tendenz, mich nicht mit einer Baustelle zu begnügen, hatte ich aber nicht nur innerhalb der Dissertation selbst. So hatte ich bis auf die letzten Monate der Promotion die ganze Zeit über nicht nur als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut, sondern parallel auch freiberuflich als Videojournalistin gearbeitet.
Als vielseitige interessierte Person hat mir das zwar viel Befriedigung verschafft, aber es war auch anstrengend, stets verschiedene Projekte parallel laufen zu haben.
Und es hat nicht unbedingt zu mehr Selbstbewusstsein geführt. War ich nun Wissenschaftlerin? Oder Videojournalistin? Dozentin? Ich passte in alle Schubladen, aber in keine so richtig.
Ein schöner Nährboden für das Impostor-Syndrom. Gedanken wie der, ob vielleicht irgendwann jemand merken wird, dass ich eigentlich nichts von dem was ich mache, richtig kann, ploppten immer wieder auf. Und zwar gänzlich unabhängig davon, dass ich bei allen meinen Baustellen nicht nur vorankam, sondern auch tolles Feedback bekam.
Der erste große Knall
Der erste große Knall kam Anfang 2015. Ich hatte im Vorjahr zu schreiben begonnen und war in einer Phase, in der ich mich großartig fühlte. Endlich ging es sichtbar vorwärts!
Nachdem ich 200 Seiten verfasst hatte, kam das verheerende Feedback von meinem Doktorvater: „Frau Klamt, das geht so nicht.“, teilte er mir bedauernd in seinem breiten bayrischen Akzent mit.
Ich fühlte mich, als hätte man mir mit dem Holzhammer einen übergezogen. Zwar mit liebevoller Intention, das erkannte ich zum Glück trotz allem. Aber der Schmerz war dennoch real.
Im Rückblick erstaunt es mich selbst, dass ich damals kein einziges Mal in Betracht gezogen hatte, das Handtuch zu werfen. Stattdessen hielt ich inne, sortiere mich. Fokussierte mich darauf, WIE ich die Promotion gut zum Abschluss bringen konnte und nicht OB.
Ich setzte alles noch einmal auf Null. Anstatt mit der Nagelfeile ranzugehen und an Feinheiten herumzuschleifen, griff ich zum Holzhammer. Der lag ja passenderweise eh gerade in der Nähe.
Der Neuanfang
Drei Monate nahm ich mir Zeit, um meine Arbeit von Grund auf neu zu strukturieren. Und dann fing ich nochmals an zu schreiben.
Mit unerwartetem Resultat: Es flutschte! Nach jahrelanger Vorarbeit hatte ich nun einen ganz klaren Fokus. Ich kannte meine Theorien, die Methode, meinen Untersuchungsgegenstand. Ich konnte Top Down arbeiten, was sonst bei einer Dissertation selten möglich ist.
Während sich Seite um Seite füllte, stieg gleichzeitig mein Zufriedenheitsgefühl. Auf ein Level, das ich die ganze bisherige Promotionszeit über nicht gekannt hatte.
Ich hatte Zeitmanagements-Strategien entwickelt, die mir halfen (wie die 15-Minuten-Regel), gönnte mir Auszeiten, wo ich sie brauchte, hatte einen funktionierenden Arbeitsrhythmus.
Und – dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz sei Dank – ganz am Ende noch einmal vier Monate Arbeitslosigkeit, die ich vorab gefürchtet hatte und die sich dann als Geschenk entpuppten: Endlich musste ich nicht mehr drei Baustellen gleichzeitig bedienen wie vorher mit Unijob, Freiberuflichkeit und Dissertation!
Neun Monate später war das Manuskript fertig. Ein Jahr nach dem Supergau trat ich einen neuen Job an einer anderen Uni an, reichte ein paar Wochen später meine Doktorarbeit ein und nahm kurz darauf ein Angebot für eine Vertretungsprofessur für das nächste Wintersemester an.
Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen, oder?
Der zweite große Knall
Pustekuchen. Der größte Knall lauerte bereits um die nächste Ecke.
Und das, obwohl sowohl mein Doktorvater als auch meine Zweibetreuerin meine Arbeit mit einem summa cum laude geehrt hatten. Aber das sahen nicht alle so. Ein weiteres Kommissionsmitglied erklärte meine Arbeit für promotionsunwürdig.
Die folgenden Wochen und Monate wünsche ich keiner Promovendin. Es war ein dunkler Tunnel voller Unsicherheiten und beklemmendem Warten, aus dem ich gebeutelt hervorkam.
Ich habe meine Dissertation schließlich verteidigt, wenn auch ein paar Monate später als geplant. Ich habe die Vertretungsprofessur angetreten. Meine Doktorarbeit im Folgejahr über einen angesehenen Verlag veröffentlicht.
Und mich entschieden, meine Lehren aus meiner Promotionszeit nicht für mich zu behalten, sondern mit anderen Promovendinnen zu teilen.
Unterstützung für Promotionsheldinnen
Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr genau, wie mies sich die Promotionszeit anfühlen kann. Aber ich weiß auch, wie gut sie sich anfühlen kann. Dass der miese Modus nicht der einzige ist. Und dass es – nicht ausschließlich, aber zu einem gewaltigen Teil – an uns selbst liegt, in welchem Modus wir uns befinden.
Aus genau diesem Grund teile ich mein Wissen, meine Strategien und meine Gedanken rund um die Promotion seit Ende 2018 im Podcast „Glücklich promovieren. Für Frauen mit Freude am Promovieren“. Außerdem helfe ich Doktorandinnen in Promotionscoachings dabei, den Spaß am Promovieren (wieder) zu entdecken und ihren Weg zu einer glücklichen und erfüllten Promotion zu finden.
Die Entscheidung dazu, in erster Linie mit Frauen zusammenzuarbeiten, war eine intuitive. Meiner Meinung nach sind Universitäten immer noch männlich geprägt, was dazu führt, dass Frauen auf vielfältige Probleme treffen, die aber nicht immer so deutlich auf das Geschlecht zurückzuführen sind, dass sie aktiv angegangen werden können.
Hat nun mein Doktorarbeitsthema zu Irritation bei der Prüfungskommission geführt, weil ich auf Missverhältnisse verweise, die eventuell als Kritik am weißen, privilegierten Mann aufgefasst werden können? Oder war es doch ein „neutraler“ fachlicher Aspekt, der das Mitglied der Kommission zu Kritik bewogen hat? Eine Frage, die sich nie mit Sicherheit beantworten werden lassen wird.
Und auch wenn außer dem Geschlecht noch anderen Faktoren eine Rolle spielen, ist das Gefühl, in der Wissenschaft fehl am Platz zu sein, besonders häufig bei Frauen zu finden. Die dann im schlimmsten Fall die Doktorarbeit abbrechen oder ihre wissenschaftliche Karriere nach der Promotion an den Nagel hängen, obwohl sie ganz hervorragende Wissenschaftlerinnen sind. Oder im besseren Fall „nur“ unnötig leiden, während sie an ihrer Dissertation arbeiten.
Ich möchte einen Raum schaffen, in dem diese Themen angesprochen werden können. Perspektivwechsel ermöglichen. Botschaften aussenden, die empowernd wirken, zu Selbstverantwortung aufrufen und unterm Strich zu einem glücklicheren Promotionsverlauf führen.
Mein Unternehmen habe ich Promotionsheldin genannt. Weil für mich jede Promovendin eine Heldin ist.
Zum Podcast „Glücklich promovieren“: https://promotionsheldin.de/podcast-gluecklich-promovieren/
Mehr über Dr. Marlies Klamt: https://promotionsheldin.de/ueber-mich/