Frage: Ich habe früher mal gelernt, dass man Sätze in Briefen nicht mit „Ich“ anfangen soll. Ist das heute noch so?
Antwort: Zu dieser Frage fällt mir das alte Sprichwort ein: „Der Esel nennt sich stets zuerst!“ – erst sagt er „I-“ und dann erst „-ah“. Das Sprichwort zielt auf höfliches Benehmen und mahnt, sich selbst nicht in den Vordergrund zu rücken.
„Ich“ in Aufzählungen
Dies betrifft jedoch zuallererst Aufzählungen von Personen. Sage ich: „Ich und meine Geschwister …“ oder: „Ich, Tonia und Alex …“, dann könnte dies so wirken, als nähme ich mich besonders wichtig. Als höflich gilt hingegen eine Reihenfolge mit dem „Ich“ am Ende: „Meine Geschwister und ich …“; „Tonia, Alex und ich …“.
„Ich“ in Aussagen
Bei Aussagen über eigene Tätigkeiten, Gedanken und Anliegen kann es aber gerade auch in geschäftlichen Schreiben sinnvoll sein, einen Satz mit „Ich“ zu beginnen:
- Ich bitte Sie um Entschuldigung für …
- Ich freue mich sehr über die große Resonanz.
- Ich habe Ihre Aufstellung geprüft und festgestellt, dass …
- Ich danke Ihnen und grüße Sie herzlich.
Für mich drückt hier das „Ich“ am Satzanfang jeweils eine größere Verbindlichkeit aus; die Person, die mir schreibt, teilt sich mir direkt und persönlich mit. Doch ist dies natürlich nur eine subjektive Einschätzung.
Kein „Ich“-Tabu
Es bleibt die Frage, ob es hierzu vielleicht doch auch eine Art Regel gibt. Deshalb habe ich mir einige aktuelle Ratgeber einschließlich jenes des Duden zum Thema „Geschäftskorrespondenz“ angeschaut. Die Frage zum „Ich“ am Satzanfang wird dort jedoch nirgends thematisiert. Vielmehr enthalten alle diese Bücher wie selbstverständlich auch Textbeispiele, in denen Sätze mit „Ich“ beginnen.
Mein Fazit lautet deshalb: Wenn es sich nicht gerade um eine Aufzählung von Personen handelt, dann ist ein „Ich“ am Anfang eines Satzes weder tabu noch falsch.
Mit herzlichem Gruß aus dem [schreibzentrum.berlin]
Ihr
Dr. Sven Arnold
Die nächste „Schreibwerkstatt Korrespondenz“ findet am 11. Juni 2020 statt und ist als Bildungsurlaub anerkannt.